Mal angenommen, unser Kind drückt eins unserer Knöpfchen. Ihr wisst schon... Eines DIESER Knöpfchen. So richtig! Ungewollt versteht sich. Was tun wir dann in neun von zehn Fällen? Wir reagieren ad hoc! Yep: Wir verurteilen, wir beschuldigen, wir beschimpfen. Mal lauter und mal leiser. Danach empfinden wir dann Reue und Scham. Machen uns selbst Vorwürfe für das, was wir getan haben. Weil wir es doch eigentlich ganz anders machen wollten. Und dann nehmen wir uns vor, das nächste Mal aber WIRKLICH anders zu handeln.
Zunächst mal: Entwarnung!
Wenn unser Organismus in Not gerät – sei es faktisch gesehen auch noch so irrational – schaltet er in den Alarmzustand. Das löst evolutionsbedingt eine Schutzreaktionen aus (den sog. Autopiloten), die dafür sorgen soll, dass wir eine möglichst große Überlebenschance haben, falls mal wieder ein hungriger Säbelzahntiger um die Ecke kommen sollte. Macht aus evolutionärer Sicht total Sinn, weil unsere Vorfahren eben des Öfteren in derartigen Situation steckten. Tatsache ist aber auch, dass uns genau dieser Autopilot in unserem MaPa-Alltag des 21. Jahrhunderts immer noch ordentlich in die Bredouille bringen kann.
Denn wenn der Autopilot übernimmt - weil er der Meinung ist, es wäre Gefahr im Verzug - fliegen wir Hals über Kopf aus der Verbindung zu unserem logischen Denkvermögen, zu unseren Werten und zu unserer Empathie. Stattdessen handeln wir wie ferngesteuert nach uralten Mustern, die uns vielleicht vor einer Ewigkeit (z.B. auch in unserer Kindheit) einmal vor einer gewissen Übermacht beschützt haben, die aber heute mit unserem Kind eher als dysfunktionale Bewältigungsstrategien zu bezeichnen wären: wir toben, wir brüllen, wir rasten aus. Oder wir gehen in den Rückzug, werden unhörbar… unsichtbar. Beides nicht unbedingt unseren Werten entsprechend, oder?
Ist blöd, passiert aber. Warum? Weil unsere exekutiven Hirnfunktionen – also die, die uns normalerweise in die Lage versetzen, reflektiert und absichtsvoll zu handeln – im Alarmmodus nicht verfügbar sind! Egal wie inbrünstig wir uns vorher vorgenommen haben, dass uns "sowas" nie wieder passiert, dass wir beim nächsten Mal ruhiger bleiben oder mit Engelszungen unser Kind liebevoll durch seine Krise begleiten... geht nicht, weil wir selbst in der Krise sind! Oder zumindest unser Nervensystem.
Das Bottom-up der Psychologie
Was sich in besonders herausfordernden Stressmomenten als wesentlich hilfreicher herausgestellt hat als unser logisches Denken, ist das sog. Bottom-Up Prinzip. Als Bottom-Up bezeichnet die Psychologie das bewusste Wahrnehmen von körperlichen Reizen (wie z.B. den Atemrhythmus) - sowie deren anschließende Verarbeitung durch das Gehirn (Signal, dass bei langsamer Atmung alles in Ordnung ist oder im Umkehrfall eben auch nicht). Anders ausgedrückt können wir unserem Nervensystem durch ein erhöhtes Körperbewusstsein signalisieren, dass keine Lebensgefahr besteht.
Wir lenken für eine bestimmte Zeit so viel Aufmerksamkeit wie in dem Moment gerade möglich in den Körper bzw. auf eine bestimmte Körperübung.
Dadurch können wir unserem Nervensystem klarmachen, dass es in Sicherheit ist und keine lebensbedrohliche Situation vorliegt.
So kann es sich beruhigen und wird die Energie nicht für irgendwelche Überlebenskämpfe zurückhalten oder schonmal präventiv in lautstarke Kampfposition gehen.
Die Exekutivfunktionen unseres Gehirns beginnen wieder ihre Arbeit aufzunehmen und wir gelangen langsam zurück in einen reflektierten Normalzustand.
Eigentlich ganz praktisch oder? Und weil dieses Prinzip mir persönlich schon den ein oder anderen Ausraster mit meinen Jungs erspart hat, habe ich dir die für mich effektivsten Grounding-Strategien für herausfordernde Momente im MaPa-Alltag zusammengefast und mag sie hier gerne mit dir teilen.
Und vielleicht ist ja etwas dabei, das dich dabei unterstützt, deinen Raum zwischen Reiz und Reaktion auszudehnen und so ein kleines Stück mehr Entscheidungsfreiheit darüber zu gewinnen, wie du in einer bestimmten Situation auf dein Kind reagieren möchtest.
Grounding-Tools
Technik N°1: Spüre den Kontakt zum Boden!
Wenn du dich in akutem Stress befindest und Gefahr läufst gleich durchzudrehen, spüren den Kontakt zu Boden! Egal, ob du gerade stehst, sitzt oder liegst, fokussiere deine Aufmerksamkeit in die Punkte deines Körpers, die mit dem Boden in Berührung sind. Das können die Fußsohlen sein, die Sitzfläche auf dem Boden oder einem Stuhl oder auch die Fersen, das Gesäß, der Rücken und der Hinterkopf falls du liegst. Spüre in diese Kontaktpunkte hinein und lasse deine Aufmerksamkeit für 6-10 Sekunden darauf verweilen. Der bewusst wahrgenommene Bodenkontakt gibt deinem Körper Halt, bringt dadurch Ruhe in das alarmierte Nervensystem und unterstützt den Kopf dabei, wieder mehr Klarheit zu gewinnen.
Technik N°2: Verlängere deine Ausatmung!
Wenn du merkst, die Pferdchen gehen durch mit dir, halte für einen Moment inne und konzentriere dich auf deine Atmung. Atme langsam ein und verlängert wieder aus. Das heißt, wenn du z.B. 3 Takte einatmest, atmest du 6 Takte wieder aus. Zähle dabei die Takte ruhig gedanklich mit, das bringt wieder mehr Ordnung in dein chaotisches Nervensystem. Führe die verlängerte Atmung für mind. 5-6 Atemzüge durch oder auch länger bis du spürst, dass Ruhe einkehrt. Die verlängerte Ausatmung ist eine Grounding-Technik, die dem vegetativen Nervensystem über die Atmung signalisiert, dass keine Lebensgefahr besteht. Der Körper wird wieder weicher, die Gedanken werden klaren, schwierige Gefühle lassen nach. Du wirst wieder handlungsfähig.
Technik N°3: Berühre dich selbst liebevoll!
Wenn dein Körper liebevoll berührt wird, schüttet er ganz von selbst Oxytocin aus: ein Hormon, das für die Empfindung von Verbundenheit und Entspannung sorgt. Es beruhigt dein vegetatives Nervensystem und bringt dich so ein Stück weit in deine Komfortzone zurück. Da dein Hormonsystem nicht unterscheidet, wer deinen Körper berührt, kann es super hilfreich sein, dir selbst eine liebevolle Geste zu erlauben, sobald du merkst, dass du in akuten Stress gerätst. Lege beispielsweise eine oder beide Hände auf die Brust und spüre dein Herz schlagen. Und wenn es unauffälliger sein soll: schenke dir eine Streicheleinheit an der Hand, am Arm oder an der Schläfe. Was auch immer gerade passt für dich. Egal wo, spüre für ein paar Sekunden in die Berührung zwischen deiner Hand und deiner ausgewählten Körperstelle hinein. Du berührst deinen Körper. Dein Körper berührt dich. Ihr seid liebevoll miteinander verbunden.
Viel Spaß beim Ausprobieren und teile gerne deine Erfahrungen: entweder in unserer SANGHA für bewusstes, authentisches ElternSein oder auch direkt auf meinem Instagram-Kanal.
Hey. Ich bin Constance, ausgebildete Achtsamkeits- und Meditationslehrerin, Kommunikationstrainerin, Yogini und seit 2015 Zwillingsmama. Jeden einzelnen Tag neu bin ich auf der Suche nach meiner inneren Wahrheit. Nach Leichtigkeit, Verbundenheit und Gelassenheit im Alltag. Ich lebe und liebe die Praxis der evidenzbasierten Achtsamkeit und möchte sie so vielen Eltern wie nur irgendwie möglich zugänglich machen. Wenn dir der Beitrag gefallen hat und du mehr darüber erfahren möchtest, wie wir diesen Raum zwischen Reiz und Reaktion absichtsoller gestalten können, abonniere gerne meinen Newsletter. So landen alle aktuellen News einmal im Monat taufrisch in deinem Postfach. Ich freu mich auf dich!
Mindful. Authentic. Mostly.
Constance
Comments